Die Digital Humanities haben in den letzten Jahren einen besonderen Aufschwung erlebt. Wenig bekannt ist allerdings, dass sie bereits seit zwei Jahrzehnten im Austausch mit der Altertumskunde, der Byzantinistik und der Mediävistik an der Entwicklung neuer computergestützter Forschungsmethoden beteiligt sind, jeweils angepasst an das hochspezialisierte Quellenmaterial, das den Fächern zugrunde liegt und das bis dato mit den klassischen Methoden der Numismatik, der Epigraphik und der Papyrologie untersucht wurde.
SigiDoc
Die byzantinische Siegelkunde bildet hier eine Ausnahme: Erst 2015 wurde ein digitaler Ansatz in die Tat umgesetzt; hierfür zeichnet Dr. Alessio Sopracasa (Sorbonne Université/CNRS UMR 8167 Orient et Méditerranée – Équipe Monde byzantin) verantwortlich. Auf diese Weise entstand SigiDoc, das nun in Zusammenarbeit mit der Universität zu Köln, insbesondere mit der Abteilung Byzantinistik und Neugriechische Philologie und dem Cologne Center for eHumanities (CCeH), weitergeführt wird.
SigiDoc stellt den ersten Versuch dar, den digitalen Ansatz auf byzantinische Siegel zu übertragen. Es baut auf den Erfahrungen von EpiDoc und EFES (EpiDoc Front-End Services) auf, einer Publikationsplattform, die eng an EpiDoc-Projekte angelehnt und für die Nutzung durch Geisteswissenschaftler ohne Programmierkenntnisse konzipiert ist. SigiDoc bietet einen XML -basierten und TEI -konformen Auszeichnungsstandard für die Beschreibung und Edition byzantinischer Siegel und zielt so auf eine Etablierung von Regeln und Richtlinien für die Publikation sigillographischer Corpora in digitaler Form.
Seit September 2020 ist SigiDoc online und frei zugänglich. Ein Test-Corpus mit ca. 50 Siegeln befindet sich hier: https://sigidoc.raketadesign.com/en/. Die SigiDoc Richtlinien sowie die ganze Dokumentation befindet sich hier: http://sigidoc.huma-num.fr/. Schließlich, der Quellcode befindet sich hier: https://github.com/SigiDoc/SigiDoc_Latest.
RTI (Reflectance Transformation Imaging)
Im Laufe der Zeit haben wir aktiv mit bildgebenden Technologien wie dem Reflectance Transformation Imaging (RTI) gearbeitet und dabei auf die Erfahrungen des Cologne Center for eHumanities (CCeH) in diesem Bereich zurückgegriffen.
RTI ist eine hochentwickelte, aber preiswerte Bildgebungstechnologie, die häufig im Bereich des Kulturerbes eingesetzt wird. Mit RTI wird ein Objekt mehrfach mit Blitz aus verschiedenen Richtungen fotografiert. Die Bilder werden dann computergestützt verarbeitet und so präsentiert, dass der Betrachter die Lichtquelle auf dem Bildschirm virtuell bewegen kann, wodurch feinste und subtilste Strukturen der Objektoberfläche sichtbar werden.
Im Vergleich zu anderen Bildgebungsverfahren wie Photogrammetrie oder 3D-Scanning ist RTI aufgrund der überlegenen Auflösung der Oberflächentextur besonders gut für Siegel geeignet und bietet gleichzeitig das beste Kosten-Nutzen-Verhältnis. RTI hat sich als ideale Bildgebungstechnologie für beschädigte, korrodierte und plattgedrückte Siegel erwiesen und ermöglicht das Studium spezifischer epigraphischer Details von Siegeln, die mit dem bloßen Auge oder mit einem hochauflösenden Bild nicht zu erkennen wären.
Publikationen:
M.T. Catalano, ‘Nutzen und Grenzen der RTI-Fotografie am Beispiel von zwei stark beschädigten byzantinischen Bleisiegeln’, in Studies in Byzantine Sigillography 14 (2022), 147–157.
M.T. Catalano, M. Filosa, C. Sode, ‘Byzantine Seals from the Robert Feind Collection in Cologne: Research and Publication in the Context of the Digital Humanities’, Revue des études byzantines 79 (2021), p. 297–322.
M. Filosa, A. Sopracasa, S. Stoyanova, ‘The Digital Enhancement of a Discipline: Byzantine Sigillography and Digital Humanities’, magazén | International Journal for Digital and Public Humanities 1/1 (2020), p. 101–128. (DOI: 10.30687/mag/2020/01/006).
M. Filosa, A. Sopracasa, ‘Encoding Byzantine Seals: SigiDoc’, in C. Marras et al. (eds.), Atti del IX Convegno Annuale AIUCD. La svolta inevitabile: sfide e prospettive per l'Informatica Umanistica [Quaderni di Umanistica Digitale], Bologna, 2020, p. 240–245. (DOI: 10.6092/unibo/amsacta/6316).